Wenn ein System Eigenschaften hat, die seine einzelnen Bestandteile nicht haben, spricht man von Emergenz: Ein einzelnes Wassermolekül ist nicht flüssig, ein Wort macht noch keine Literatur und eine einzelne Bürgerin keinen Staat. Auch das Leben oder das Bewusstsein können als emergente Phänomene verstanden werden.
Fast alle wissenschaftlichen Fachgebiete befassen sich mit solchen disziplinspezifischen emergenten Phänomenen, zudem steht hinter der Emergenz eine ganze wissenschaftsphilosophische Denktradition. Wir wollen einen Einblick in dieses grosse Thema erhalten und eine interdisziplinäre Diskussion führen. Vermeintlich unvergleichbare Phänomene, wie z.B. die Plattentektonik und menschliche Gesellschaften, können unter gewissen Aspekten der Emergenz vielleicht doch miteinander verglichen werden.
Die Lesegruppe richtet sich explizit an Teilnehmende aus möglichst unterschiedlichen Studiengebieten, um einen möglichst fachübergreifenden Austausch zu diesem grundlegend interdisziplinären Thema zu ermöglichen.
Bibliographie
Die folgende Liste ist als Vorschlag zu verstehen, was wir im Rahmen der Lesegruppe lesen könnten. Die Liste ist weder komplett, noch werden wir wahrscheinlich alle vorgeschlagenen Werke lesen. Im Rahmen der ersten Sitzung werden wir in der Gruppe entscheiden, welche Texte oder Ausschnitte davon wir tatsächlich lesen wollen, wobei weitere Vorschläge von Seiten der Teilnehmenden sehr willkommen sind.
-Texte u.a. von Timothy O’Connor, Paul Hoyningen-Huene, Jaegwong Kim, Mario Bunge usw. als philosophische Einführung
-Aufsätze aus Jens Greve, Annette Schnabel (Hrsg.): Emergenz. Zur Analyse und Erklärung komplexer Strukturen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
-C. D. Broad: The Mind and Its Place in Nature. Routledge & Kegan Paul, London 1925.
-P. W. Anderson: More is different. Science 177, 393-396 (1972), 10.1126/science.177.4047.393
-N. Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main 1984.
-B. Gibb: The Emergence of Emergence. Nature Chemistry 3, 3–4 (2011). https://doi.org/10.1038/nchem.934
-G. Dyson: Darwin among the Machines: The Evolution of Global Intelligence. Perseus Books, Cambridge MA 1997.
-D. Noble: The Music of Life: Biology Beyond the Genome. Oxford University Press, Oxford 2006.
-M. J. Pearce: Art in the Age of Emergence. Cambridge Scholars Publishing, Newcastle upon Tyne 2022.
-B. G. Dempsey: Emergentism: A Religion of Complexity for the Metamodern World. 2022.
-R. B. Laughlin: Abschied von der Weltformel. Piper, München/ Zürich 2007.
-P. Clayton: Emergenz und Bewusstsein. Evolutionärer Prozess und die Grenzen des Naturalismus. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008.
-Texte über System-, Komplexitäts- und Chaostheorie
Ort: Abwechselnd Universität Bern und ETH Zürich. Die Sitzungsorte können aber im Rahmen der ersten Sitzung noch besprochen und eventuell an die Wohnorte der Teilnehmenden angepasst werden.
Zeitplan: alle zwei bis drei Wochen im Herbstsemester 2023
Arbeitssprache(n): Deutsch, auch Englisch ist möglich. Einige Texte, die wir lesen werden, sind in englischer Sprache verfasst.
Leitung: Anna Funk und Nicolas Krattiger
Organisation: Stefano Aloise
Administration: Michelle Hug
Anzahl TN: 12
Zielpublikum: Alle Studenten aller Studienrichtungen
Vorbereitungsarbeiten / Unterlagen: Siehe Bibliographie und Hinweise des Leiters und der Leiterin